1x1

Ost-Afrika 2004


KeniaTansaniaUganda

  ... Hakuna Matata !
  (Jörg Prüger und Heiko Otto)


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Klirrende Fensterscheiben, krachende Stoßdämpfer, ächzende Karosserie - eine infernalische Geräuschkulisse begleitet uns seit Stunden auf dieser Busfahrt von Mombasa zum kenianisch-tansanischen Grenzort Taveta. Der asphaltierte Teil dieser Strecke, holprig und mit ungezählten Schlaglöchern gespickt, liegt schon lange hinter uns. Die nachfolgende, vom Regen aufgeweichte Piste ist in einem noch weitaus übleren Zustand, doch das scheint der Busfahrer bisher nicht bemerkt zu haben. Zumindest hat es ihn in keinster Weise bewogen, das halsbrecherische, material- und bandscheibenzermürbende Tempo zu drosseln. Unwillkürlich erwarte ich bei jedem der vielen harten Schläge, dass einer der hoffnungslos überlasteten Stoßdämpfer seinen Geist aushaucht, eine Achse bricht oder die gefährlich vibrierenden Fensterscheiben zu Bruch gehen. Doch nichts dergleichen passiert. Der Bus, alt wie er ist, hat wohl schon hunderte dieser Fahrten halbwegs heil überstanden. Warum sollte er ausgerechnet diesmal kaputt gehen ?


Dia-Show „Kilimandscharo”
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Dia-Show „Unterwegs in Ost-Afrika”
Dia-Show „Land & Leute”
Dia-Show „Der ganze Rest”


Die Vibrationen lassen nach. Der Bus hält an. Wieder einmal wollen einige der Passagiere aussteigen. Dabei ist draußen reinweg gar nichts zu sehen: keine Ortschaft, kein Licht, nur stockfinstere Nacht. Wie schon bei vorangegangenen Stopps springt auch diesmal der Schaffner, der nebenbei auch noch als Bordmechaniker fungiert, mit aus dem Bus. Mit Schraubenschlüssel und Hammer bewaffnet prüft er in aller Eile Räder und Achsen. Ein lautstarkes Klopfen verrät uns kurz darauf, dass dieser Stopp wohl etwas länger dauern wird. Wie die meisten anderen Passagiere nutzen auch wir diese Gelegenheit, den arg verspannten Muskeln ein wenig Bewegung zu gönnen.

UnterwegsEine Viertelstunde später kriecht der nun ziemlich ölverschmierte Schaffner unter dem Bus hervor. In den Händen hält er einen großen Gegenstand, der verdächtig nach einem Bremszylinder aussieht: „Hakuna Matata” - alles kein Problem ! Das Teil wird kurzerhand aufs Dach gewuchtet und verschwindet irgendwo zwischen den dort festgezurrten Gepäckstapeln. Und schon hupt der Fahrer und lässt den Motor ungeduldig aufheulen. Die nächtliche Hasardfahrt kann weitergehen. Wozu braucht man auch so einen einzelnen Bremszylinder ? Es gibt ja schließlich noch mehr davon !

BusBeim Wiedereinsteigen sind wir einen Tick schneller als die übrigen Passagiere und können uns die freigewordenen Sitzplätze sichern. Der Rest der Fahrt verspricht nun ein kleinwenig bequemer zu werden. Aber an Schlaf - so übermüdet wir nach der langen Reise auch sind - ist auf den durchgesessenen, zu Rüttelplatten mutierten Bänken auch weiterhin nicht zu denken.

Die nächsten Stunden bringen - abgesehen von einigen zusätzlichen Blauen Flecken und einer kleinen Platzwunde am Kopf - nichts Neues. Doch so verrückt das auch klingen mag, diese irrwitzige Fahrt beginnt mir mehr und mehr Spaß zu machen. Jeder einzelne der zahllosen Stöße vermittelt die gleiche Botschaft: Du bist wieder in Afrika ! Der Urlaub hat begonnen ! Die unglaublich glatte Autobahn, Panne (#1)auf der wir vor kaum 24 Stunden zum Flughafen gefahren sind, liegt eine ganze Welt - nein, ein ganzes Zeitalter hinter uns.

Taveta-GrenzübergangNach zwei gefährlichen Schlingern, bei denen der Bus in atemberaubende Schräglagen gerät, gibt der Fahrer den Versuch, die Buckelpiste im Tiefflug zu nehmen, endgültig auf. Mit gedrosselter Geschwindigkeit nähern wir uns dem Ziel, welches wir eine gute Stunde vor Sonnenaufgang erreichen. Ein schlammiger Platz markiert den Endpunkt der strapaziösen Fahrt. Wie die Mehrzahl der verbliebenen Passagiere bleiben auch wir sitzen, um wenigstens noch ein kurzes Stück auszuruhen; ein paar Minuten zu schlafen.

610 Uhr, Sonnenaufgang, Aufbruch. Die wenigen hundert Meter bis zum kenianischen Grenzposten sind trotz der schweren Kraxen schnell zurückgelegt, Kinder (#1)die Ausreiseformalitäten in drei Minuten erledigt. Durch ein Spalier herrlich blühender Akazien geht es weiter. Bis zur tansanischen Grenzstation gilt es gut drei Kilometer morastiger, halb überfluteter Lehmpiste zu durchwaten. Auf halber Strecke werden wir von einem vorbeifahrenden Pickup mitgenommen. Für die Einreise nach Tansania dürfen wir, wie tags zuvor in Kenia, satte 50 US$ Visumsgebühr berappen. Ganz schön unverschämt ! Weiter geht es mit einem so genannten „Matatu” - einem Minibus. Wie in Afrika allgemein üblich, dreht der Fahrer solange seine Runden durch den winzigen Grenzort, bis auch der letzte der 13 Sitzplätze und 4 Notsitze belegt und noch 5 weitere Passagiere samt umfangreichem Gepäck irgendwie in das Fahrzeug gepresst sind. Panne (#2)Dann endlich geht es wirklich los. Trotzdem der Matatu - zumindest aus unserer Sicht - brechend voll ist, wirbt der in der offenen Tür stehende Kassierer in jeder der vielen kleinen Ortschaften entlang der Strecke um neue Passagiere. Und jedes Mal sind wir aufs Neue verblüfft, wenn es noch einem weiteren Fahrgast gelingt, sich in den winzigen Bus hineinzuquetschen. Ganz im Gegensatz zu den Bummelfahrten durch die Orte werden die Abschnitte dazwischen in Rallyemanier absolviert. Die Rüttelei auf der noch immer sehr holprigen Piste hat den praktischen Nebeneffekt, dass die Insassen noch ein weiteres Stückchen „komprimiert” werden. Beim nächsten Stopp passt dann auch tatsächlich noch eine ältere Frau mit zwei Stiegen Eiern ins Fahrzeug hinein ...

Moshi, Stadt am Fuße des Kilimandscharo. BlütenzauberNoch ehe wir uns richtig aus dem Matatu gefaltet haben stehen die ersten Schlepper bereits Spalier: „Kilimandscharo ? Safari ?” ObstmarktJeder hat einen „Bruder", der die beste, die billigste, ja die einzige Agentur leitet, die Touren und Führer anbietet. Wir hören uns geduldig die einzelnen Angebote an, nehmen von den am interessantesten klingenden Anbietern die Visitenkarten oder Telefonnummern entgegen und lassen den ganzen Pulk dann kurzerhand stehen, um erst einmal eine preiswerte Unterkunft zu suchen.

Keine zwei Stunden später ist alles zu unserer Zufriedenheit geklärt: Wir haben ein sauberes Zimmer im zentral gelegenen „Buffalo Hotel”, welches wir nicht einmal bezahlen müssen. Die Rechnung übernimmt Collin, der Chef von „Collins Safaris Ltd.” als Teil der Abmachung, die wir mit ihm bezüglich der Organisation einer Kilimandscharo-Expedition Schneidergetroffen haben. Auch wenn der höchste Berg Afrikas technisch kein großes Problem darstellt - eine Aufstiegsgenehmigung erhält man nur, wenn ein staatlich zugelassener Führer samt Trägern und - unverzichtbar ! - einem Koch angeworben wurde. Das dies nicht billig wird, war uns von vornherein klar: KontakteLetztendlich haben wir mit Collin einen Preis von 580 US$ pro Kopf für eine Sechs-Tage-Tour ausgehandelt - 405 US$ entfallen dabei auf die saftige Eintrittsgebühr für den Nationalpark, 175 US$ bleiben für den Führer, die Träger, den Koch, das Essen und alle sonstigen Nebenkosten. Schon am folgenden Morgen soll es losgehen. Organisatorisch ist damit für uns alles erledigt. Den Rest des Tages nutzen wir, die farbenfrohen Märkte der Stadt und vor allem die einheimische Küche kennenzulernen.

27.11.2004, 845 Uhr morgens. Ein Matatu steht für uns bereit. Davor wartet Ernest „Massai” Moses, unser Bergführer, um uns mit Hilfe einer Karte über Details des bevorstehenden Aufstiegs zu informieren. Dann geht es los, geradewegs auf den majestätisch aufragenden Kilimandscharo zu. ZiegenhirtinGanz allmählich beginnt die schmale, erstaunlich gute Straße anzusteigen, führt durch Kaffee- und Bananenplantagen und zahllose winzige Dörfer. Hier und da lässt Massai den Fahrer anhalten, handelt an kleinen Verkaufsständen und stockt unseren Proviant auf. Wir nutzen die kurzen Stopps, um einen flüchtigen Blick auf das Leben der Bergbauern zu werfen, die, wie sich schnell zeigt, nicht minder neugierig auf uns Fremde sind. Immer wieder werden wir gefragt, ob wir wahrhaftig den „Kibo” - den Gipfel des Kilimandscharos besteigen wollen. Und immer wieder sind wir erstaunt, dass diese Tatsache auch heute noch soviel Erfurcht auslöst - hier, Kinder (#2)wo doch fast täglich andere Bergsteiger vorbeikommen müssen. Bestens mit Obst und Frischfleisch versorgt setzen wir kurze Zeit und ein gutes Dutzend Fotos später unsere Fahrt fort, nun auf einer vom Wasser gefährlich zerfurchten, immer steiler ansteigenden Piste.

Der Schlagbaum des „Machame Gates” markiert das Ende der Fahrt. Auch die bisher allgegenwärtigen Bananen- und Maispflanzungen enden hier. Der Kilimandscharo Nationalpark liegt unmittelbar vor uns !

Machame” - neben der Kostenfrage war die Aufstiegsroute einer der wichtigsten Verhandlungspunkte mit Collin gewesen. Wir wollten auf gar keinen Fall die von der übergroßen Masse der Touristen bevorzugte und somit ziemlich ausgetretene „Marangu-” oder „Coca-Cola-Route” - Wiegestationwie sie auch spöttisch genannt wird - benutzen. Als Alternativen standen „Umbwe-”, „Shira-” und „Machame-Route” zur Diskussion, wobei letztere für uns am interessantesten klang. Tja und nun stehen wir am Ausgangspunkt dieser Route, gequält von der Frage: Werden wir es schaffen ? Bevor wir dies allerdings herausfinden können, gilt es noch einige Formalitäten zu erledigen: Minutiös werden unsere Daten in ein Besucherbuch eingetragen, wird die Eintrittsgebühr vor unseren Augen doppelt und dreifach gezählt. Massai stellt inzwischen die Gruppe der Träger zusammen. SchaulistigeDas Gepäck wird aufgeteilt, wobei das Gewicht mit Hilfe einer Federwaage genauestens geprüft wird. Keiner der Träger darf mehr als 15 kg plus Eigenbedarf tragen. Als auch meine Kraxe einem der Träger zugeteilt werden soll bestehe ich darauf, sie selber zu tragen. Ungläubig fragt Massai, ob ich sicher sei. Nein, sicher bin ich mir nicht, weiß nicht ob es ein Fehler ist, ob ich vielleicht gerade wegen des Gepäcks scheitere. Doch wenn ich es schaffe, dann soll dies ganz Aufbruchund gar aus eigener Kraft geschehen !

1000 Uhr, durch ein Spalier aus Schaulustigen, fliegenden Händlern und Männern, die darauf warten, ebenfalls als Träger engagiert zu werden, beginnen wir die erste Etappe des Aufstiegs. Ein recht gepflegter Pfad führt vom ca. 1800 m über dem Meeresspiegel gelegenen Parkeingang hinauf zum fast 1200 m höheren „Machame Camp”, schlängelt sich durch dichten, vor Feuchtigkeit strotzenden Bergdschungel. BergdschungelRiesenfarne und moosüberwucherte Urwaldriesen begrenzen den Pfad und die Sicht. Das Kreischen von Vögeln und anderen Tieren begleitet uns, weicht fast unheimlicher Stille um kurz darauf wieder einzusetzen. Die Verursacher der Geräusche bekommen wir leider nur in den seltensten Fällen - und dann auch nur für Sekunden - zu Gesicht. Stetig geht es bergan, nicht übermäßig steil, doch so dass wir dabei ordentlich ins Schwitzen kommen. Begleitet werden wir vorerst nur von Emanuel - unserem Koch und zweiten Führer. Massai folgt irgendwo hinter uns zusammen mit den Trägern. Ein kurzer aber heftiger Regenguss bringt Abkühlung und nötigt uns zur ersten Pause. Massai, der uns inzwischen eingeholt hat, zeigt sich unzufrieden: Wir sind zu schnell. „Pole pole - langsam langsam !” mahnt er. Also gut. An einem kleinen, aus dem Pflanzendickicht brechenden Wasserfall legen wir eine größere Rast ein, verspeisen den Inhalt des uns zugeteilten Lunch-Pakets und geben den Trägern, von denen wir noch nicht einmal wissen, wie viele uns nun eigentlich begleiten, RiesenfarneGelegenheit, uns zu überholen.

Kurz nach 1500 Uhr erreichen wir die obere Grenze des Dschungels. Beinah abrupt geht der Wald in Busch- und Heideland über, öffnet sich der Blick auf die vor uns liegende Bergwelt. Wolken schmiegen sich an die Hänge, liegen wie Zuckerwatte über dem „Shira-Plateau” und verhüllen den Gipfel des Kilimandscharos. Der Pfad schlängelt sich durch meterhoch aufragendes Riesenheidekraut. HeidelandWir legen eine letzte kurze Rast ein und lassen die völlig veränderte Umgebung auf uns wirken. Knapp zwanzig Minuten später erreichen wir den ersten Lagerplatz - das „Machame Camp”. Die erste Etappe ist geschafft - und wir fühlen uns prächtig ! Wie sich zeigt haben die Träger unter Massais Anleitung bereits ganze Arbeit geleistet: Die Zelte sind aufgebaut und heißes Wasser zum Waschen steht bereit - Luxus ! Während wir uns in einer Art Gästebuch registrieren treffen weitere Träger ein. Machame CampEin Wächter prüft noch einmal das Gewicht der Tragelasten. Ich nutze die Gelegenheit auch meine Kraxe wiegen zu lassen: 19 kg - Himmel, was schleppe ich denn da alles mit auf den Berg ? Und was schleppen eigentlich all diese Lastenträger ? Gehören die etwa alle zu uns ? Leicht beunruhigt registrieren wir den zwölften, kurz darauf den dreizehnten und vierzehnten Träger - allesamt mit beachtliche Packen, Körben und Säcken beladen. GepäckkontrolleEin paar Minuten später sind wir schlauer: Sechs weitere Bergwanderer treffen im Camp ein; eine Polin, ein Kanadier und vier Schweden. Genau wie wir hoffen auch sie den Gipfel über die Machame-Route zu erreichen. In der Zwischenzeit hat unser Koch seine Arbeit vollbracht - und er hat sich dabei wahrlich Mühe gegeben: Auf einem zwischen den Felsen drapierten Tischtuch warten Brokkolisuppe, Eierkuchen mit Honig, Hühnerkeulen auf Gemüsereis und Obst auf uns. Ein Mahl, das wir besser in keinem Restaurant von Moshi hätten bekommen können. Ein Lob an den Koch. Zweiten EtappeDen Rest des Abends nutzen wir für Erkundungsgänge in die nähere Umgebung des Camps, ein wenig Palaver mit Massai, unseren Trägern und natürlich auch mit den anderen Bergsteigern. Kurz nach Sonnenuntergang ziehen sich alle in die Zelte zurück. Es gilt Kräfte zu sammeln für die zweite Etappe.

28.11.2004, 630 Uhr morgens. Pünktlich wie vereinbart klopft einer der Träger an unser Zelt. Die Schüssel mit dem Waschwasser ist frisch gefüllt, und das Frühstück lässt auch nicht lange auf sich warten. Im Lager herrscht geschäftiges Treiben. Die Zelte werden abgebaut und die Tragelasten verteilt. Alles funktioniert wie am Schnürchen - und wo es doch einmal hakt, da ist Massai zur Stelle um für Ordnung zu sorgen. Eine gute Stunde später ist alles bereit für den Aufbruch. Genau wie gestern sind wir die ersten, die den Aufstieg beginnen - und ebenso wie gestern begleitet uns vorerst Emanuel, unser Koch. Der jetzt deutlich schmalere Pfad schlängelt sich durch eine bizarre Welt aus Felsbrocken, Buschwerk und riesigen Heidepflanzen - das so genannte Moor- und Heideland. FlechtenLange fasrige Vorhänge aus blassgrünen Flechten wuchern vom derzeit kahlen Geäst der Heide, wirken wie uralte verwitterte Wimpelketten. Wolkenschleier und Nebelfetzen treiben träge über den Berghang, verleihen der Szene eine beinahe mystische Atmosphäre. Nur selten einmal reißen die Wolken auf, geben für Sekunden den Blick auf den tief unter uns liegenden Bergwald frei, Gladiolenballen sich kurz darauf erneut zusammen - dichter noch als zuvor. Plötzlich beschränkt sich die Sicht auf wenige Meter - konzentriert den Blick auf die kleinen Details entlang des Pfades. Wunderschöne Blumen wachsen hier, bilden mit ihren zarten leuchtendroten Glockenköpfen einen Kontrast zum grauen Felsgestein wie er krasser kaum sein kann. Und noch andere interessante Pflanzen gibt es zu entdecken: Yuccaähnliche Gewächse mit enorm großen Staudenblüten, Strohblumen und Immortellen, blühende Disteln und Riesenkreuzkraut - eine Pflanze, die es uns ganz besonders angetan hat. RiesenkreuzkrautVon weitem gesehen ähnelt dieses „Kraut” eher einer Palme, wenn auch anstatt der Palmwedel ein Schopf aus Blättern den Stamm krönt. Nicht selten verzweigt sich dieser Stamm gleich einem gigantischen Kerzenständer und erreicht eine Höhe von drei, ja manchmal sogar von vier Metern. Zwischen den Pflanzen huschen auffällig gemusterte mausähnliche Tiere umher, verschwinden blitzartig wenn wir zu nahe kommen. Massai nennt sie „Four stripes mountain mice” - „Vierstreifen-Bergmäuse” - ein sehr treffender Name. Begeistert von der bizarren Landschaft mit ihrer ungewöhnlichen Flora und Fauna befolgen wir gern das Gebot unseres Bergführers, legen immer wieder kurze Pausen ein und geben somit den Trägern Gelegenheit uns zu überholen.

1420 Uhr, schneller als erwartet erreichen wir unser zweites Etappenziel, das 3840 m hoch gelegene „Shira Camp” auf dem gleichnamigen Plateau. Vierstreifen-BergmausGenau wie am Vortag erwarten uns ein fertig aufgebautes Zelt und eine kleine Erfrischung. Und ebenso wie gestern müssen wir uns zu allererst im Register des Camps verewigen. Eine Viertelstunde später - wir sind gerade dabei uns halbwegs häuslich einzurichten - werden wir Zeugen eines atemberaubenden Naturschauspiels: Eine Bö zerreißt die tief über dem Plateau hängende Wolkendecke und drückt sie hinab ins Tal. Plötzlich ist blauer Himmel über uns; befinden wir uns über den Wolken ! Wie Spitzen eines schwarzen Riffs tauchen die zerklüfteten Grate der „Shira Ridge” aus dem wogenden Wolkenmeer auf. Hastig greifen wir unsere Kameras, lassen alles andere stehen und liegen, Shira Ridgeum das Ereignis auf Foto und Video zu bannen. In der entgegengesetzten Richtung hüllt sich der „Kibo” noch immer hartnäckig in seinen Schleier aus Wolken. Voller Erwartung, der Wind könne auch diesen Vorhang hinwegfegen, suchen wir uns eine noch günstigere Beobachtungsposition und bringen die Kameras in Stellung. Aber unsere Geduld wird auf eine harte Probe gestellt: Schleppend langsam lösen sich die Wolken auf, geben mal ein Stück graue Felswand, mal die leuchtendweiße Eisfläche eines Gletschers frei. Erst wenige Minuten vor Sonnenuntergang zeigt sich der Gipfel des Kilimandscharos in seiner ganzen Pracht. Endlich ! Und es ist ein Anblick für den sich das lange Warten wahrhaftig gelohnt hat: Über der kleinen Kuppel unseres Zeltes wölbt sich die gewaltige Kuppel des höchsten Bergs Afrikas, von den letzten Sonnenstrahlen in fast unnatürlich rotes Licht getaucht ! SonnenuntergangIm Lager werden wir bereits ungeduldig erwartet. Das Essen ist fertig: Gemüsesuppe, würziger Rindergulasch mit Süßkartoffeln und Obst - wiederum eine kleine kulinarische Meisterleistung unseres Kochs. Was kann man sich an einem solchen Abend eigentlich noch mehr wünschen ?

AbendstimmungDie Nacht dagegen wird unangenehm. Bohrender Kopfschmerz lässt mich nicht einschlafen. Jörg im Schlafsack neben mir ergeht es ähnlich. Sind das etwa schon Symptome der Höhenkrankheit oder sind es nur hässliche Nebenwirkungen der Malariatabletten, die wir gestern schlucken mussten ? Fürchterlich langsam ziehen sich die Stunden dahin, halten mich irgendwo zwischen Halbschlaf und quälenden Alpträumen gefangen: ... wir schaffen es nicht ... müssen kurz vor dem Gipfel umkehren ... alles umsonst ... alles umsonst ...

FrühstückKlopfen am Zelt reißt mich aus diesem wenig erholsamen Dämmerzustand. Der neue Tag hat begonnen; höchste Zeit zum Aufstehen. Auch Jörg sieht aus, als hätte er die ganze Nacht kein Auge zugetan. Wie benommen erledigen wir alle notwendigen Handgriffe Dritte Etappeund würgen das eigentlich sehr lecker aussehende Frühstück herunter. Kurz vor dem Aufbruch kommt Massai mit seiner Landkarte zu uns, um die beiden möglichen Routen des heutigen Tages zu erläutern. Vom Camp soll es hinauf zum 4570 m hohen „Lava Tower Pass” gehen und dann wieder hinab ins „Barranco Camp” - dem nächsten Etappenziel. Auf halber Strecke besteht die Möglichkeit, den Weg abzukürzen, den Pass zu umgehen. Ein verlockender Gedanke, auch wenn die längere Strecke unserer Akklimatisation dienlicher wäre. Wir schieben die Entscheidung erst einmal auf; machen sie davon abhängig, wie wir uns in den folgenden Stunden fühlen.

29.11.2004, 815 Uhr. Shira PlateauGemeinsam mit unseren Trägern und den anderen Bergsteigern brechen wir auf, folgen dem kaum noch erkennbaren Pfad über das sanft ansteigende „Shira Plateau” gen Osten, direkt auf den Gipfel des Kilimandscharo zu. Junction PointDer „Kibo” liegt Sonnenüberflutet vor uns, scheint beinah über der ausgedehnten Hochebene zu schweben. Die Landschaft ist übersät von kleineren und größeren Felsbrocken. Von der abwechslungsreichen Vegetation der tiefer gelegenen Regionen ist nichts mehr zu sehen. Nur derbe gelbe Grasbüschel und vereinzeltes niedriges Gestrüpp lockeren das triste Grau des Gesteins ein wenig auf, werden mit jedem Höhenmeter spärlicher und verschwinden schließlich ganz. Wir haben die Region der Steinwüste erreicht.

Im Laufe des Vormittags ziehen erneut Wolken auf, verhüllen den „Kibo” und beschränken die Sicht schließlich auf wenige hundert Meter. Ganz allmählich wird der Anstieg steiler. Die spürbar dünnere Höhenluft nötigt uns immer wieder kurze Verschnaufpausen einzulegen. Doch der anstrengende Marsch hat auch seine gute Seite, lenkt er doch von den Kopfschmerzen ab; lässt sie uns schließlich ganz vergessen. Unwillkürlich werden wir schneller, beginnen die vor uns laufenden Träger zu überholen. Sofort erscheint Massai an unserer Seite und bremst: „Pole pole - langsam, Kräfte sparen !”

Routenplanung1115 Uhr erreichen wir „Junction Point”, die angekündigte Weggabelung. Kurzerhand entscheiden wir uns für den schwierigeren, wohl aber auch interessanteren Weg - den Weg zum „Lava Tower”. Das bedeutet eine weitere Stunde Anstieg irgendwo zwischen Felsen und Wolken, schneidend kaltem Wind und Nieselregen, eine Stunde in der sich das Gewicht meiner Kraxe zu verdoppeln scheint, Emanuel & Massaiin der ich mich mehrfach frage, warum wir nicht genau wie die Träger den leichteren Weg gewählt haben - aber auch eine Stunde in der wir uns mehr und mehr an die rauen Bedingungen in dieser Höhe gewöhnen können.

1215 Uhr. Dunkel schält sich die Silhouette des „Lavaturms” aus den tiefhängenden Wolken. Eine kleine Steinpyramide markiert das Ende unseres Anstiegs. Im Windschatten der steil aufragenden Felswände rasten wir, nehmen unser Mittagsmahl ein: belegte Brote und Wasser. Lava Tower PassVerblüfft beobachten wir dabei eine der flinken kleinen Bergmäuse, die sich blitzschnell die auf den Boden gefallenen Brotkrumen sichert. Wer hätte gedacht, dass diese possierlichen Tiere auch hier oben, in einer scheinbar so lebensfeindlichen Umgebung anzutreffen sind !

Gestärkt und zumindest ein wenig ausgeruht setzen wir eine Halbestunde später unseren Weg fort. Lava TowerMassai führt uns durch einen schmalen Einschnitt im Fels - den eigentlichen Pass. Dahinter geht es steil bergab, über gefährlich lockeres Geröll. Im krassen Gegensatz zu seinen sonstigen Mahnungen möglichst langsam zu gehen, legt er beim Abstieg ein höllisches Tempo vor. Jörg und ich haben alle Mühe, Anschluss zu halten. Und der Abhang will kein Ende nehmen. Die ausgedehnte Geröllhalde führt immer weiter nach Süden, hinein in das enger werdende Tal eines Gebirgsbachs. Langsam beginnen mir die Knie zu schmerzen und die Kraxe drückt unangenehm auf meinen Schultern. Noch immer schränken Wolken und Nebel die Sicht ein, verhüllen alles was mehr als 50 Meter von uns entfernt ist. Dessen ungeachtet steigen wir tiefer und tiefer, nähern uns Schritt für Schritt dem 630 m unterhalb des Passes gelegenen „Barranco Camp”. An einer von Felswänden geschützten Stelle entdecken wir die ersten größeren Pflanzen: knorriges Kreuzkraut - sicheres Zeichen, dass wir uns der Vegetationszone und somit auch dem Lagerplatz nähern. Und tatsächlich erreichen wir zehn Minuten später das Camp. Die dritte Etappe liegt hinter uns.

EmanuelNatürlich sind die Träger schon da und auch die vier Schweden, die sich für den leichteren Weg entschieden hatten, sitzen bereits vor ihrem Zelt. Wir registrieren uns im Besucherbuch des Camps und gesellen uns dann zu den Schweden. Doch schon nach einem kurzen Plausch werde ich unruhig. Die über dem Tal liegenden Nebelschleier beginnen sich aufzulösen, Barranco Camp (#1)enthüllen mehr und mehr Details der näheren Umgebung, die ganz offensichtlich viel zu interessant ist, um den Rest des Nachmittags im Lager zu vergeuden ...

Barranco” - die Schlucht. Wie wir nun jäh erkennen können, trägt dieser Ort seinen Namen nicht umsonst, begrenzt doch ein eindrucksvoller Taleinschnitt die östliche Seite des Camps. Gleich mehrere Sturzbäche treffen hier aufeinander, ergießen sich über Kaskaden hinab in den vielleicht 20 Meter tiefen Abgrund. Hochstämmiges Kreuzkraut gedeiht in der immerfeuchten Klamm, bildet ein schon beinah urzeitlich wirkendes Dickicht auf dem Grund der Schlucht. Barranco Camp (#2)Erste Sonnenstrahlen brechen durch die dünner werdende Wolkendecke, lassen Felswände und Pflanzen aufleuchten, lösen langsam aber stetig die letzten Dunstreste auf und geben endlich den Blick auf den atemberaubend steil ansteigenden Felsdom im Norden der Schlucht frei: das nun schon greifbar nah erscheinende Gipfelmassiv des Kilimandscharo. Vergessen sind plötzlich die Strapazen der vergangenen Stunden, vergessen der Gedanke an einen geruhsamen Nachmittag im Lager. Bewaffnet mit den Kameras brechen wir auf, lassen unseren ziemlich verdutzt dreinschauenden Bergführer im Camp zurück und suchen nach einem gangbaren Weg hinab in die Schlucht.

Der Abstieg ist nicht allzu schwer; der Weg über den Grund der Schlucht dafür umso mehr. Kibo (#1)Knietiefer Morast lässt den schon fast erreichten Kreuzkrautwald erneut in weite Ferne rücken. Verflixt ! Wie nun weiter ? Der Verstand sagt „Endstation” doch die Verlockung einmaliger Aufnahmen ist groß - zu groß ! Vorsichtig taste ich mich weiter vorwärts, immer dicht am steinigen Ufer des Wildbachs entlang. Die Zeit drängt, steht doch die Sonne bereits gefährlich tief über dem Horizont, sorgt für Sekunden mit ihren allerletzten Strahlen für optimales Fotolicht. Jetzt gilt es ! Den schmatzenden Sumpf ignorierend renne ich los, mitten hinein in das Dickicht aus Pflanzen. Hoch ragt der schneebedeckte „Kibo” über dieser bizarren Welt aus knorrigen Stämmen und Blätterkronen auf, scheint unmittelbar aus ihr herauszuwachsend. Kibo (#2)Leuchtend weiß hebt sich der „Heim-Gletscher” vom stahlblauen Himmel ab, wird eingerahmt vom satten Grün der Vegetation. Kein Zweifel - dieses Bild ist die durchnässten, schlammverschmierten Schuhe wert !

Kibo (#3)Das Abendessen vor unserem Zelt wird zu einem ganz besonderen Ereignis - und das liegt nicht allein an Emanuels bemerkenswerten Kochkünsten. Der grandiose Ausblick, den wir während des Essens genießen können, trägt in nicht geringem Maße zum kulinarischen Hochgenuss bei. Der „Kibo”, vom letzten Tageslicht orangerot angestrahlt, beschert uns ein außergewöhnliches Spektakel: Ein schmales Band aus Wolken hat sich wie eine riesige Halskrause um den Gipfel gelegt. Vom Tal ziehen Nebelschwaden auf, umhüllen den Fuß des Berges, steigen ganz allmählich höher und verwandeln die Spitze in eine Insel inmitten eines weißgrauen Ozeans. Barranco SchluchtWindböen sorgen für stete Veränderung; lassen die Szene nicht langweilig werden, bis schließlich das Abendrot verglimmt. Das Gipfelglühen erlischt - die Vorstellung ist beendet.

Nach dem Essen gesellt sich Massai zu uns, fragt, ob wir schon den Aufstieg des kommenden Morgens begutachtet haben und zeigt dabei grinsend auf die Felswand, die die Barranco-Schlucht auf der gegenüberliegenden Seite begrenzt. Auch wir lachen, halten das Ganze für einen Scherz. Die bezeichnete Wand wirkt vom Camp aus gesehen sehr steil, fast senkrecht und reicht 70, vielleicht sogar 80 Meter in die Höhe. Massai wird ernst: Nein, das ist kein Witz, „that becomes your second breakfast” - das soll unser „zweites Frühstück” werden. Na dann guten Appetit ! „The Breakfast” (#1)Noch lange nachdem Massai uns wieder allein gelassen hat betrachten wir die Wand, rätseln, wo sich der Pfad verbergen mag - denn dass es eine Art Weg geben muss ist sicher - naja, ziemlich sicher. Wie sollten sonst die Träger mit ihrem teils recht unhandlichen Transportgut das Hindernis überwinden ? Außerdem fehlt uns die Ausrüstung für eine solche Klettertour - irgendwo muss also ein Weg sein, auch wenn wir ihn im Dämmerlicht nicht mehr entdecken können. Voller Erwartung, was der kommende Morgen bringen wird, ziehen wir uns schließlich ins Zelt zurück. Eine weitere unangenehme Nacht liegt vor uns ...

30.11.2004, 600 Uhr morgens. Etwas früher als sonst werden wir geweckt. „The Breakfast” (#2)Unser erster Blick gilt natürlich der ominösen Felswand auf der anderen Seite der Schlucht. Und tatsächlich bewegt sich dort etwas. Eine erste Gruppe Träger ist bereits unterwegs - eine Kette bunter Punkte, die sich langsam aber stetig in der Wand nach oben bewegt. „The Breakfast” (#3)Ein abenteuerlicher Anblick !

637 Uhr, Sonnenaufgang. Kaum haben wir unser Frühstück beendet erscheint Massai um sich zu erkundigen, ob wir bereit sind für den Aufstieg. Klar sind wir bereit und höchst gespannt, wie der mysteriöse Weg durch die Felsen wohl aussehen wird. Noch ein paar letzte Handgriffen im Camp, dann brechen wir auf, folgen Emanuel, der wieder einmal die Rolle des Führers übernimmt. Zuerst gilt es die Schlucht zu durchqueren. Wie sich schnell zeigt, gibt es dafür eine weitaus bessere Möglichkeit als die, die wir gestern Abend gefunden haben. Ein Trampelpfad führt ein Stück oberhalb des Lagers ganz bequem hinab in das Tal. Auf Felsbrocken balancieren wir über den Wildbach und durchqueren die an dieser Stelle gut begehbare Talsohle. Dann ist es soweit: Wir stehen unmittelbar vor der Felswand. Der Pfad scheint hier zu enden - doch der erste Eindruck täuscht. Über einen Vorsprung klettert Emanuel gute drei Meter in die Höhe und erreicht auf diese Weise ein Querband im Felsen. Wir folgen ihm und gelangen so auf einen schmalen aber leidlich begehbaren Steg. Hart am Abgrund entlang führt dieser weiter nach oben. WasserfälleHalb gehend, halb kletternd gewinnen wir schnell an Höhe. Bald liegen Talsohle und Camp tief unter uns, nähern wir uns der Mitte der Felswand. Ein herrliches Panorama lässt die Mühen des Aufstiegs vergessen. Winzig klein erscheint der Kreuzkrautwald von hier oben; wunderbar sind die Wasserfälle am jenseitigen Rand der Schlucht zu erkennen. Im Zickzack geht es immer weiter in die Höhe. Ganz allmählich flacht das Gefälle ab, wird der Anstieg einfacher. Karanga Valley (#1)Schließlich, eine knappe Stunde nach unserem Aufbruch, erreichen wir ein kleines Plateau. Der bislang dramatischste Abschnitt dieser Bergtour ist bewältigt. Respekt vor den Leistungen der Träger, die, ihre Lasten meist auf dem Kopf balancierend, diese Steilwand gemeinsam mit uns bezwungen haben !

Der folgende, knapp sechs Kilometer lange Streckenabschnitt ist verhältnismäßig einfach zu bewältigen. In gut 4100 m Höhe folgen wir dem Verlauf der Südflanke des Berges und erreichen runde zwei Stunden später den Rand des „Karanga Valley” - einen weiteren tiefen Taleinschnitt. Auf dem jenseitigen Plateau ist bereits unser nächstes Ziel zu erkennen, doch statt der 500 m Luftlinie trennen uns ein kniffliger Ab- und ein kräftezehrender Anstieg von der wohlverdienten Mittagspause im „Karanga Camp”. Lockeres Geröll und metergroße Gesteinsbrocken erschweren den Gang in die Schlucht, die schwere Kraxe macht ihn nicht einfacher. Im Talgrund gedeiht üppige Vegetation - auch wenn der Bach, der diese Schlucht geschaffen hat, derzeit ausgetrocknet ist. Karanga Valley (#2)Lobelien-Nektarvogel (#1)Ein schillernd blauer Vogel - ein „Lobelien-Nektarvogel” - umschwirrt die blühenden Pflanzen; beschert uns ein tolles Fotomotiv und einen guten Grund für eine kurze Pause. Beim Weitergehen reißt ein Schulterriemen meiner Kraxe. Auch dass noch ! Notdürftig flicke ich den Riemen mit einem Stück derben Draht - was den Tragekomfort erheblich einschränkt. Doch die Behelfskonstruktion scheint zu halten. Der Anstieg aus dem Tal ist weniger steil als erwartet, und die Aussicht auf eine längere Rast beflügelt uns.

1145 Uhr, Mittagspause. Spatzengroße Vögel - so genannte „Chats” - nutzen keck jede Gelegenheit, ein paar Krumen aus unserem Lunch-Paket zu stehlen. Wir lassen sie gewähren; haben eh mehr als genug übrig, da Jörg, geplagt von Symptomen der Höhenkrankheit, kaum mehr als die Chats zu sich nimmt. Eine Stunde später drängt Massai bereits wieder zum Aufbruch. Runde 600 Höhenmeter gilt es noch zu überwinden, ehe wir das letzte und höchstgelegene Lager - das „Barafu Camp” - erreichen. Lobelien-Nektarvogel (#2)Die Schweden bleiben endgültig zurück. Zwei von ihnen leiden heftig unter der Höhenkrankheit. Auch Jörg sieht elend aus, und mir geht es nicht viel besser - doch noch reichen unsere Kräfte um weiterzugehen.

Die folgenden drei Stunden fordern alles was wir an Energie und Willenskraft aufbringen können. Massai lotst uns durch ein Chaos aus Lavabrocken, UnterwegsWolken und dichtem Dunst. Mühsam folgen wir ihm - Meter um Meter, wankend, stolpernd, stoisch. Immer heftiger muss ich gegen die Versuchung ankämpfen, mich einfach fallen zulassen, aufzugeben. Um auf andere Gedanken zu kommen, beginne ich die Schritte zu zählen; Schätzungen abzugeben, wie viele es bis zum Camp noch sein mögen: 100 ... 500 ... 1000 ... ? Der verflixte Anstieg will einfach kein Ende nehmen - und die Sicht beschränkt sich wieder einmal auf wenige Dutzend Meter !

Dann endlich stehen wir am Rande des „Barafu Camps”. Wie aus dem Nichts taucht ein erstes Zelt aus den Wolkenschleiern auf. Halleluja ! Zwei unserer Träger sind bereits eingetroffen und gerade dabei unsere Zelte aufzubauen. Selbstverständlich greifen wir mit zu - auch wenn die Verlockung, einfach alles fallen zulassen, keinen Finger mehr zu krümmen, groß ist. Nach wenigen Minuten sind die Zelte bezugsfertig - Pause ... Abschalten ... Schlafen !
Barafu Camp (#1)
Kaum haben wir uns niedergelegt, erscheint auch schon Emanuel mit einem Topf voller Nudeln im Zelteingang. Nein ! Weder Jörg noch ich verspüren den Wunsch, jetzt irgendetwas zu Essen. Doch Emanuel bleibt unerbittlich: Wir müssen essen - keine Widerrede ! Also gut. Getrieben von der Hoffnung, im Anschluss unsere Ruhe zu haben, würgen wir mühsam zwei Kellen Gulasch herunter. Doch an Müßiggang ist auch ferner nicht zu denken. Augenblicke nachdem Emanuel mit dem halbvollen Topf abgezogen ist, ruft Massai uns aus dem Zelt, um die Belange des bevorstehenden Aufstiegs zu erörtern: Barafu Camp (#2)Kurz nach Mitternacht soll es losgehen, damit wir den Sonnenaufgang vom Gipfel aus beobachten können. Hoffen wir, dass die Praxis ebenso glatt abläuft wie die Theorie. Immerhin bleiben uns noch sieben Stunden, um Kräfte für diese schwerste aller Etappe zu sammeln. Doch obwohl wir nun tatsächlich in Ruhe gelassen werden, will sich der Schlaf nicht einstellen. Eine Mischung aus Spannung und Unwohlsein hält uns wach. Die Minuten schleichen dahin, dehnen sich, wollen einfach nicht vergehen. Endlich wird es draußen dunkel, aber der ersehnte Schlaf bleibt auch weiterhin aus. Aller paar Augenblicke knipst einer von uns die Taschenlampe an, um nach der Uhr zu schauen: Was ? Erst 2000 Uhr ? - Frustriert beschließen wir die Zeit beim Kartenspiel totzuschlagen.

Irgendwann siegt schließlich doch die Müdigkeit, und so bin ich ziemlich überrascht, dass beim nächsten Blick auf die Uhr Mitternacht bereits vorüber ist. Schlagartig bin ich hellwach: Verflixt, wir haben verschlafen ! Während ich versuche, mich im Dunklen aus dem Schlafsack zu befreien, regt sich auch im Zelt unserer Begleiter etwas. Massai ruft zum Aufstehen ! Minuten später herrscht hektische Betriebsamkeit in unserem kleinen Lager. Ein eisig kalter Nachtwind treibt den letzten Rest Müdigkeit aus den Gliedern, spornt auch die Träger, die nach unserem Aufbruch zurück in die warmen Schlafsäcke kriechen können, zu höchster Eile an. Alles läuft nun wie am Schnürchen. Während wir unsere sorgsam zusammengestellte Ausrüstung ein letztes Mal kontrollieren, reicht uns einer der Träger Wasser und Proviant für den Aufstieg; ein anderer bereitet ein leichtes Frühstück vor. Fünfzig Minuten nach Massais verspätetem Weckruf ist alles bereit für den Aufbruch.

01.12.2004, 120 Uhr nachts. Begleitet von Massai und Emanuel und jeder Menge guter Wünsche unserer Träger beginnen wir den „Sturm auf den Gipfel”. Aufstieg (#1)Nun gilt es ! Im spärlichen Lichtschein unserer Stirnlampen durchqueren wir das wie ausgestorben liegende Camp und überwinden die ersten der verbleibenden 1345 Höhenmeter in Form einer leidlich begehbaren Felskaskade. Massai hat die Spitze unseres kleinen Trupps übernommen; Jörg, Emanuel und ich folgen im Gänsemarsch. Durch ein sanft ansteigendes Tal nähern wir uns ganz allmählich der Flanke des Vulkankegels, der als schwache Silhouette vor dem tiefschwarzen Nachthimmel zu erkennen ist. Nun, wo die ersten Schritte dieser alles entscheidenden Etappe getan sind, fühle ich mich besser - deutlich besser ! Die drückenden Kopfschmerzen sind wie weggeblasen, und jeder Meter des nächtliche Aufstieg bringt mir ein kleines Stückchen Selbstvertrauen zurück. Schließlich erfasst mich eine schon beinah euphorische Stimmung: Wir können es schaffen ... wir werden es schaffen !

Aufstieg (#2)Rund um uns her ist es stockfinster. Der Mond ist nicht zu sehen und die Lichtkegel unserer Lampen entreißen der Nacht nur flüchtige Streifen der allernächsten Umgebung. Umso prächtiger wirken die Tausende und Abertausende von Sternen am fast wolkenlosen Firmament. Hoch über uns, den Gipfel flankierend, reflektiert das Eis des „Rebmann-Gletschers” diesen schwachen Lichtschein und wirkt so wie ein Wegweiser zu unserem Ziel.

Ganz allmählich wird der Anstieg steiler und anstrengender, die Luft noch dünner. Massai achtet streng darauf, dass wir nicht zu schnell laufen. „Pole pole - langsam langsam !” hören wir zum wiederholten Male. Aber seine Mahnungen sind diesmal völlig überflüssig, wird doch jeder zu schnell getane Schritt mit heftiger Atemnot bestraft.

230 Uhr. Inzwischen befinden wir uns unmittelbar am Steilhang des Vulkans. Lockeres Geröll bedeckt den Boden, gibt unter unseren Füßen nach und erschwert so unser Vorwärtskommen erheblich. In unregelmäßigen Abständen legen wir kurze Verschnaufpausen ein; gönnen unseren strapazierten Lungen ein paar Augenblicke der Erholung. Und schon geht es weiter, langsam, Schritt für Schritt, Meter für Meter. Die winzigen Lichtpunkte unserer Stirnlampen tanzen im Takt der Schritte, huschen über bizarre Lavaformationen, grauen Fels und immer wieder über neues Geröll.

315 Uhr. Bei Jörg scheint sich eine Krise anzukündigen. Er wankt und stolpert immer öfter und benötigt bei jeder Rast etwas länger, um weitergehen zu können. Massai meint, dass wir uns nun wohl auf 5000 m Höhe befinden. Für uns ist das keine sonderlich motivierende Mitteilung, hatten wir doch angenommen, dem Gipfel bereits deutlich näher zu sein.

340 Uhr. Jörg ist zusammengebrochen. Emanuel soll nach einer kurzen Rast mit ihm hinab ins Camp steigen. Trotzdem ich seit einer halben Stunde damit gerechnet habe, trifft mich dieser Fakt wie ein Schlag. Da sind wir nun gemeinsam soweit gekommen ! MorgendämmerungKlar, wir haben mit Bedacht zwei Führer genommen - eben für einen solchen Notfall. Doch auch wenn Massai und ich weiter nach oben steigen - der Gipfelsieg wird ohne Jörg nur noch die Hälfte wert sein ! Aber halt, noch ist es nicht so weit: Jörg steht plötzlich wieder neben uns, verlangt nach einem Stück Schokolade und ist fest entschlossen, zusammen mit uns den Weg zur Spitze fortzusetzen ! Massai ist skeptisch; weist auf die Risiken eines erneuten, vielleicht noch heftigeren Zusammenbruchs hin. Doch Jörg besteht auf der Fortsetzung des Aufstiegs - und Massai willig schließlich ein.

500 Uhr. SonnenaufgangAm östlichen Horizont kündigt ein roter Schimmer die Morgendämmerung an. Einige hundert Meter unter uns hat sich eine dichte Wolkendecke gebildet, liegt wie ein Wattebausch über dem Sattel zwischen „Kibo” und dem benachbarten „Mawenzi”. Nur die schartige Kuppe des 5149 m hohen Nebengipfels überragt die Wolkenbank. In der vergangenen Stunde sind wir trotz Jörgs anhaltender Probleme gut vorangekommen und befinden uns nun ca. 5500 m über dem Meeresspiegel. Die ersten Ausläufer des „Rebmann-Gletschers” liegen greifbar nahe vor uns.

540 Uhr. Jörg bricht zum zweiten Mal zusammen. Diesmal ist es Massai, der ihm Mut zuspricht. Nur noch wenige Dutzend Schritte trennen uns vom Kraterrand - und die gehen wir gemeinsam !

Stella Point556 Uhr. Genau rechtzeitig zum Sonnenaufgang erreichen wir „Stella Point” - den Kraterrand in 5748 m Höhe. Eisige Windböen empfangen uns, durchdringen die Kleidung und lassen den Atem gefrieren. Ungeachtet des Gefühls, vor Kälte erstarren zu müssen, harren wir aus, gefesselt von einem überwältigenden Panorama: Vor uns, im Norden, öffnet sich der gewaltige Krater des Kilimandscharos. Rebmann-GletscherAusgedehnte Gletscherwände - die so genannten „Eisfelder” - begrenzen den Krater auf drei Seiten, bilden mit ihrer leuchtend weißen Färbung einen krassen Kontrast zum dunklen Lavagestein. Nach Westen dehnen sich die zerklüfteten Ausläufer des „Rebmann-Gletschers” aus. Im Süden fällt die Kraterwand des Vulkans steil ab, verschwindet in einem wallenden Meer aus Wolken und Dunst, während im Osten, unter einem flammend roten Morgenhimmel, die schwarz gezackte Silhouette des „Mawenzi” aufragt. Die Kälte ist schneidend, lässt die Finger beim Fotografieren erstarren. Doch die Motive sind so vielfältig, so einmalig, so vergänglich, dass ich mir nicht einmal die Zeit nehme, die schmerzenden Hände für ein paar Sekunden in den Handschuhen aufzuwärmen. Schnell verliert der westliche Himmel seine schwarzblaue Färbung, gewinnt das Licht die Oberhand über die letzten Ausläufer der Nacht. Erste Sonnenstrahlen schießen wie Speere zwischen den tiefhängenden Wolken hervor und lassen das Wolkenmeer hell aufleuchten. Ernest & EmanuelLicht flutet über die Kraterränder und verleiht dem Grund des Kraters Farbe und Konturen. Was für ein Bild !

Unsere beiden Führer, denen die Kälte deutlich mehr zusetzt als uns, drängen schließlich zum Aufbruch. Während Massai und ich zum eigentlichen Gipfel weitergehen, will Emanuel mit Jörg hinab ins Camp steigen. Doch schon nach wenigen Minuten sehen wir die beiden hinter uns laufen. Angespornt vom Gipfelsieg - und als solchen kann man das Erreichen von „Stella Point” mit Sicherheit rechnen - will nun auch Jörg mit ganz nach oben. Was sind schon ein paar kleine Beschwerden gegen ein solches Erlebnis ? Durch eine Wunderwelt aus Gletschereis und Lavagestein ziehen wir weiter, folgen dem Verlauf des Kraterrands nach Westen. Steil ragt nun das „Südliche Eisfeld” zu unsrer Linken auf - eine gut und gerne 20 Meter hohe und 1000 Meter lange, Kraterfast schnurgerade Mauer aus weißblauem Eis. Ein Stück weiter folgt der „Heim-Gletscher”, den wir bereits vom „Barranco Camp” aus gesehen haben.

Die letzten Meter erscheinen beinah wie ein Spaziergang. Die Luft ist unvermindert dünn und kalt, doch in der Gewissheit, das lang ersehnten Ziel erreicht zu haben, spielt das alles keine große Rolle mehr. Endlich ragt vor uns ein eher unscheinbarer Hügel auf: „Uhuru Peak” - die Spitze des Kilimandscharo, der höchste Punkt Afrikas !

01.12.2004, 715 Uhr morgens. Eine hölzerne Tafel Uhuru Peak (#1)markiert das Ende unseres Aufstiegs: „Uhuru Peak” - die „Freiheitsspitze” - 5895 m über dem Meeresspiegel ! Nach einer knapp sechsstündigen letzten Etappe stehen wir - Massai, Emanuel, Jörg und Heiko - auf dem Dach Afrikas. Ein geradezu unglaubliches Glücksgefühl breitet sich aus: Wir haben’s geschafft - gemeinsam, allen Hemmnissen zum Trotz ! Die Mühen und Entbehrungen der letzten Tage waren nicht umsonst. Nun können wir uns eine Pause gönnen, den märchenhaften Ausblick genießen und die lang ersehnten Gipfelfotos schießen. Schließlich mahnt Massai zum Abmarsch. Ein mit Sicherheit noch sehr interessanter Abstieg über die „Mweka-Route” liegt vor uns - und danach zwei weitere herrliche Wochen im fantastischen Osten Afrikas ...


     Kommentar     
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  1x1 Bericht: Heiko Otto
Dezember 2004  

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